Satte 1.200 Hektar Anbaufläche, zehn Hektar Glashausfläche und ein Jahresumsatz von 90 Millionen Euro. Die unternehmerischen Kennzahlen von „Westhof Bio“ sprechen für sich. Wie ein Betrieb unternehmerischen Mut, ökologische Prinzipien und technische Innovation vereint und zugleich als Familienbetrieb bestehen blieb.
Als Rainer Carstens 1978 in Dithmarschen in Norddeutschland den Familienbetrieb übernahm, war der Westhof mit 60 Hektar ein für die Region typischer, mittelgroßer Betrieb. In einer Zeit, in der Bio noch als Nischenphänomen galt, traf Carstens 1989 eine Entscheidung mit Weitblick. Für die Umstellung auf biologische Bewirtschaftung waren für ihn zwei Gründe ausschlaggebend: Zum einen die gesundheitliche Verbesserung einer weit fortgeschrittenen Diabeteserkrankung seines Vaters durch eine vollwertige, biologische Ernährung. Zum anderen die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl: Damals durfte frisch geerntetes Gemüse wegen zu hoher Radioaktivität nicht verkauft werden – ein prägendes Erlebnis für viele dort ansässige Betriebe. Für Carstens war klar: So geht es nicht weiter. „Jeder muss Verantwortung übernehmen, die Umwelt für alle Menschen in Ordnung zu halten.“ Die Initialzündung für den Aufstieg des Unternehmens gaben Carstens’ Eltern, als sie 1972 den Hof kauften. Während der Vater als Steuerberater in Hamburg blieb, übernahm der Sohn später die Bewirtschaftung.
Carstens: “Wir nutzen das, was auf dem Feld wächst, mehrfach: erst als Nahrungsmittel, dann als Energiequelle und zuletzt als Dünger.“
Von Getreide zu Gemüse
Der erste Umstieg in die Bioproduktion galt klassischen Ackerkulturen – doch als sich der erwartete Preis für Biogetreide binnen kurzer Zeit halbierte, reagierte Carstens pragmatisch. 1992 begann der Einstieg in die Biogemüseproduktion. Anfangs mit Weiß- und Rotkraut sowie Karotten. Schnell kam weiteres Frischgemüse hinzu – die ersten Abnehmer waren die Firma Hipp Babynahrung und eine regionale Kohlfabrik, die fixierte Abnahmemengen zu garantierten Preisen zusicherten. Das gab Planungssicherheit und eröffnete neue Wege.
Um diese erfolgreich zu beschreiten, schloss sich Carstens mit anderen Biohöfen zusammen. Die Erzeugergemeinschaft, die aus wenigen Pionieren bestand, ist heute auf rund 120 Landwirte angewachsen. Gemeinsam mit einem Nachbarn bewirtschaftet Westhof Bio heute rund 1.200 Hektar und ist Europas größter Produzent von Bio-Brokkoli.
Hightech, Kreisläufe und Energieautarkie
Die weitere Entwicklung des Betriebes verlief rasant: Der Anbauplan umfasst heute mehr als 25 Kulturen – darunter Karotten, Brokkoli, Karfiol, Zwiebeln, Sellerie, Erbsen und zahlreiche weitere Lagergemüse. Seit 1998 wird unter der Unternehmensschiene „Bio Frost“ tiefgekühltes Biogemüse direkt am Standort verarbeitet. 2002 erfolgte der Zusammenschluss mit dem Nachbarn zur „Dörscher & Carstens Bio GbR“. 2010 wurde das erste vier Hektar große Glashaus für Paradeiser, Paprika und Gurken gebaut. Heute sind es zehn Hektar modernste Gewächshausfläche – ohne Substrate, beheizt durch die eigene Biogasanlage, die 2014 in Betrieb ging. Diese wird unter anderem mit Gemüseresten und dem Aufwuchs der hofeigenen Grünlandflächen gespeist. Ziel ist, den gesamten Betrieb ausschließlich mit regenerativer Energie zu betreiben. „Für uns gehört Energie zur Landwirtschaft dazu“, erklärt der Biopionier. „Wir nutzen das, was auf dem Feld wächst, mehrfach: erst als Nahrungsmittel, dann als Energiequelle, zuletzt als Dünger in Form von Gärresten. So entsteht ein fast geschlossener Kreislauf.“
Auch technisch bleibt Westhof Bio am Puls der Zeit: In der eigenen Werkstatt wird aktuell ein innovativer Unkrautroboter entwickelt, der später durch ein spezialisiertes Unternehmen angefertigt werden soll – sofern alle Genehmigungen erteilt werden.
Bio braucht Menschen
So beeindruckend die Technik ist, ohne qualifizierte Arbeitskräfte läuft auch auf dem Westhof nichts. In Hochphasen werden gut 200 Saisonkräfte beschäftigt, dazu kommt ein Team aus Agrarwissenschaftlern, Betriebsleitern und Verwaltungsangestellten. Die Herausforderung, geeignetes Personal zu finden und zu halten, ist auch hier allgegenwärtig. „Wir investieren nicht nur in Maschinen, sondern auch in Menschen“, so Carstens. Dazu gehören faire Löhne, Schulungen, moderne Unterkünfte und eine offene Kommunikation. Gerade in der Biolandwirtschaft sei ein starkes Team entscheidend, für die Produktqualität ebenso wie für das Betriebsklima.

Regionalität und Transparenz als Leitbild
Der Betrieb wirtschaftet mittlerweile nicht nur nach Natur- und Bioland-, sondern auch nach Demeter-Richtlinien. Carstens betont: „Wir machen das nicht fürs Image, sondern aus Überzeugung.“ Ein zentraler Aspekt des Westhof-Modells ist der starke Fokus auf Regionalität. Nicht nur die Flächen befinden sich im Umkreis des Hauptstandortes, auch die Vermarktung folgt kurzen Wegen. Ein großer Teil der Produkte bleibt in Norddeutschland und wird über regionale Handelsketten vertrieben. Ergänzt wird dies durch eine eigene Logistikstruktur, die die Qualitätssicherung von der Ernte bis zum Kunden garantiert. „Unsere Kundinnen und Kunden wollen wissen, wo ihre Karotten herkommen“, ist Carstens überzeugt. „Deshalb ist Transparenz für uns keine Marketingfloskel, sondern gelebter Alltag.“ Dazu gehören auch der regelmäßige Austausch mit Abnehmern, die direkte Kommunikation mit Konsumenten auch über soziale Medien und nicht zuletzt der enge Kontakt mit den Vertragslandwirten in der Region, die nach denselben Standards wirtschaften.
Familienbetrieb mit Weitblick
Trotz der Größe ist Westhof Bio ein Familienbetrieb geblieben. Alle vier Kinder des Betriebsführers sind in leitenden Positionen tätig: Der jüngste Sohn ist für die Landwirtschaft zuständig, zwei Töchter – beide mit betriebswirtschaftlichem Studium – kümmern sich um Frisch- und Tiefkühlgemüse, der zweite Sohn verantwortet Technik und Energie. Auch die Aufgabenverteilung mit dem Nachbarn ist durchdacht: Während dieser die landwirtschaftliche Bewirtschaftung führt, konzentriert sich Rainer Carstens auf Organisation und Vermarktung. „Wir ergänzen uns hervorragend – so konnten wir wachsen, ohne uns zu verzetteln.“ Trotz aller Erfolge verläuft der Weg nicht ohne Herausforderungen: Bürokratische Hürden, ein wachsender Fachkräftemangel und schwankende Abnahmepreise stellen den Betrieb immer wieder vor neue Aufgaben. Westhof Bio liefert keine Patentlösung, aber ein glaubwürdiges Beispiel dafür, dass Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg sich nicht ausschließen. Und dass es sich lohnt, Verantwortung zu übernehmen – mit Konsequenz, Innovationskraft und einem klaren Blick für das große Ganze.
Dr. Karin Huber ist Agrarjournalistin und für den Pressedienst AIZ tätig.
- Bildquellen -
- Rainer Carstens: Karin Huber
- Jätroboter: Westhof Bio