Österreichischer Bauernbund: Am Weg in die Europäische Union

Bauerndemo vor dem Kanzleramt im Jahr 1970. Foto: picturedesk.com/ Votava/Imagno

Am 1. März 1970 verlor die ÖVP bei den Nationalratswahlen ihre absolute Mehrheit, und SPÖ-Vorsitzender Bruno Kreisky bildete mit Duldung der FPÖ eine Minderheitsregierung. „Was wird aus den Bauern?“ titelte damals besorgt der „Österreichische Bauernbündler“. Bis 1983 regierte Kreisky allein, später bis 1986 mit der FPÖ. Die Agrarpolitik dieser Zeit bestimmten die roten Minister Oskar Weihs und ab 1976 Günter Haiden bis 1986. Hatte die SPÖ die Bauernbundpolitik bis 1970 im Wesentlichen mitgetragen und zudem auch die Einbeziehung der bäuerlichen Bevölkerung in die Pensionsversicherung ermöglicht, kam es nun zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Bauernbund, den Landwirtschaftskammern und Genossenschaften.

1970 stand Roland Minkowitsch dem Bauernbund als Präsident vor.
Foto: BauernZeitung

Ländlicher Raum gewinnt an Bedeutung
Der Bauernbund wurde damals von Präsident Roland Minkowitsch (1920–1986) und Direktor Sixtus Lanner geleitet. Immer mehr rückten die Anliegen des ländlichen Raums und die zunehmende Bedeutung der Nebenerwerbsbetriebe in den Mittelpunkt. Gegen nicht unerheblichen Widerstand einflussreicher Funktionäre setzte Lanner im Bauernbund die Erkenntnis durch, dass im Sinne von Eduard Hartmann („Agrarpolitik geht alle an“) nicht nur Probleme der bäuerlichen Bevölkerung (Preise, Einkommen), sondern auch Fragen aller Menschen im ländlichen Raum für die Zukunft des Bauernbundes und seiner politischen Bedeutung in der Gesamtgesellschaft wichtig sind.
In den Expertisen der 1.400 Fachleute, die im Vorfeld zu den Wahlen 1970 für Bruno Kreisky arbeiteten, wurde nämlich dem ländlichen Raum kaum Augenmerk gewidmet, aber salopp festgestellt, Bauern wären die Opfer einer falschen Agrarpolitik. Die politische Offensive des Bauernbundes trug wesentlich dazu bei, dass sich die SPÖ-Regierung mit Sonderprogrammen für die Bergregionen und das damalige Grenzlandgebiet sowie der Besserstellung der Nebenerwerbslandwirtschaft im Förderungssystem, der Regionalisierung der Maßnahmen und auch zunehmend Fragen der Umwelt widmen musste.
Der Startschuss für das Programm des ländlichen Raumes erfolgte beim Bundesbauerntag 1971 in Graz mit den Programmen „Leben in lebenswerter Umwelt“ sowie „Fortschritt der Einigkeit“. Festzuhalten ist, dass in harten Verhandlungen zwischen SP-Minister Haiden, Bauernbundpräsident Minkowitsch und Matthias Bierbaum (1916–1985), ab 1970 Präsident der LK Niederösterreich, die Neuordnung des Milchmarktes mit der Richtmengenregelung als wirksame Mengenbegrenzung 1978 und dem Getreideprotokoll 1979 (Exportfinanzierung, Qualitätserzeugung) wichtige Weichenstellungen für die Zukunft der Agrarmärkte auf dem Weg in den Europäischen Binnenmarkt gelungen sind. Ein Meilenstein war zudem 1975 das neue Forstgesetz.
Hans Lehner, Präsident der LK Oberösterreich und von 1970 und 1984 Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, hat als erfahrener Sozialpartner so manche Wogen mit der SPÖ geglättet und den legendären Gewerkschaftsbund-Präsidenten Anton Benya davon überzeugt, dass eine sinnvolle Zusammenarbeit mit den bäuerlichen Interessenvertretungen auch im Interesse der Arbeiter ist.

Sie brachten Österreichs Bauern auf EU-Kurs:
Rudolf Schwarzböck, Präsident Georg Schwarzenberger und Wilhelm Molterer.
Foto:Bauernbund

Josef Riegler und Präsident Alois Derfler: Kurswechsel
Die Erleichterung im Bauernbund, in den Landwirtschaftskammern und der Raiffeisenorganisation war groß, als im Jänner 1987 Josef Riegler in das Landwirtschaftsministerium am Wiener Stubenring einzog und SPÖ-Kurzzeit-Agrarminister Erich Schmidt ablöste. An der Seite von Alois Derfler (1924–2005), seit 1980 Nachfolger von Minkowitsch Präsident des Bauernbundes, der von 1984 bis 1990 auch Vorsitzender der Präsidentenkonferenz war, hatte Riegler als Bauernbunddirektor wesentliche Vorarbeiten für einen Kurswechsel in der heimischen Agrarpolitik vorgenommen. 1982 wurden mit dem Programm „Damit das Land Zukunft hat“ nicht nur der Ausbau der Infrastruktur im ländlichen Raum, sondern vor allem Maßnahmen für eine nachhaltige, ressourcenschonende und flächendeckende Landwirtschaft formuliert.
Der Aktionsplan „Lebenschancen im ländlichen Raum“ enthielt konkrete Vorschläge für die Agrar-, Regional- und Umweltpolitik sowie die Neuausrichtung des Finanzausgleichs zugunsten kleinerer Gemeinden. Diese Konzepte waren später für Josef Riegler als Landwirtschaftsminister ab 1987 bis 1989 wegweisend und Grundlage für das 1988 präsentierte „Manifest für eine ökosoziale Agrarpolitik in Österreich“. Die bäuerlichen Familienunternehmen sollten durch Maßnahmen unterstützt werden, die ökonomisch, ökologisch und sozial ausgewogen sein sollten, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Land-und Forstwirtschaft zu stärken. Unter Riegler als Parteiobmann wurde es vor 30 Jahren zu einem nachhaltigen Wirtschaftsprogramm der ÖVP mit einer ökologischen Steuerreformen erweitert und ist bis heute politisches Thema.

Erleichtert nach einer zähen Verhandlungsnacht: Alois Mock und das berühmte „Ederer-Busserl“.
Foto: picturedesk.com/First Look

Beitrittsverhandlungen waren ein Kraftakt
Ab Ende der 1980er-Jahre strebten SPÖ und ÖVP den Beitritt zum Europäischen Binnenmarkt an. Derfler und sein Nachfolger Georg Schwarzenberger, Bauernbund-Präsident ab 1989 bis 2001, mussten zusammen mit Landwirtschaftskammerpräsident Rudolf Schwarzböck, dem damaligen Landwirtschaftsminister Franz Fischler von 1989 bis 1994 und dessen Nachfolger Wilhelm Molterer gerade unter Landwirten in intensiven Diskussionen viele Vorurteile und Ängste aus dem Weg räumen.
Einschneidende Reformmaßnahmen waren notwendig. Der weitgehende Verzicht auf eine eigenständige Agrarpolitik wurde professionell vorbereitet. Fischler schlug den Sozialpartnern und der SPÖ die Einrichtung der Agrarmarkt Austria (AMA) vor. Nach schwierigen Verhandlungen über neue Zuständigkeiten bei der Förderungsabwicklung wurde diese per Gesetz am 1. Juli 1992 beschlossen. Die AMA hat sich seither als Drehscheibe für die Auszahlung und Kontrolle der Fördermittel und als Marketingorganisation bewährt.
Rudolf Schwarzböck hat wesentlich zum erfolgreichen Abschluss der Beitrittsverhandlungen – die laut Fischler „Spitz auf Knopf“ standen – beigetragen und SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina budgetäre Zugeständnisse abgerungen. 25 Jahre später betonte Schwarzböck am 16. Mai 2019 im Interview mit der BauernZeitung: „Ein Scheitern damals hätte ich mir wohl niemals verziehen.“ Die Volksabstimmung am 12. Juni 1994 ergab mit 66,6% ein überzeugendem Ja für den EU-Beitritt Österreichs. Davor hatte die Einigung auf ausreichende Produktionsquoten und von der EU finanzierte degressive Ausgleichszahlungen bis 1998 als Kompensation für den folgenden Preisverfall von Milch und Getreide wesentlich zum positiven Abschluss der fast gescheiterten Beitrittsverhandlungen am 1. März 1994 geführt. Zugestimmt wurde auch den Forderungen des Bauernbundes nach nationaler Co-Finanzierung wichtiger Maßnahmen zugunsten der Land-und Forstwirtschaft, wozu u.a. mehr Fördermittel für die Bergbauern- und Regionalpolitik beitrugen.
Mit dem Aufbau des Informations-und Kontrollsystems INVEKOS war es den Landwirtschaftskammern mit Unterstützung des Agrarressorts und der AMA möglich, Bauernden Umstieg auf das neue Fördersystem mit Direktzahlungen und ländlichen Entwicklungsprogrammen zu ermöglichen.

| Prof. DI Dr. Gerhard Poschacher war Abteilungsleiter im BM für Land- und Forstwirtschaft und ist heute als Publizist tätig. |

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