Tiroler Bauernzeitung: Herr Landeshauptmann, hätten Sie sich vor einem Monat vorstellen können, dass wir uns heute in einer solchen Situation befinden?

PLATTER: Nein, weder ich noch viele andere hätten sich das damals vorstellen können. Auf der ganzen Welt wurden Länder von der Wucht dieser Pandemie überrascht. Da bilden Österreich und Tirol keine Ausnahme. Selbst manche Virologen müssen heute einräumen, die Entwicklung zu Beginn völlig unterschätzt zu haben. Wir haben es mit einem Virus zu tun, über das wir noch immer nicht genug wissen. Wir kämpfen gegen einen unsichtbaren Feind, der uns immer ein paar Schritte voraus ist. Das Einzige, was wir tun können, ist, die Symptome zu behandeln und zu hoffen, dass unsere Maßnahmen greifen.

Tiroler Bauernzeitung: Es gab in den letzten Tagen vor allem international scharfe Kritik am Krisenmanagement in Ischgl. Ist das für Sie nachvollziehbar?

PLATTER: Kritik muss immer erlaubt sein und sie ist wichtig, um besser zu werden. Wir alle lernen derzeit jeden Tag dazu. In einer solchen Ausnahmesituation können auch Fehler passieren – auf der ganzen Welt, in Österreich und auch in Tirol. Wenn wir diese Krise überstanden haben, werden wir jede Entscheidung, die wir in den letzten Wochen getroffen haben, auf den Prüfstand stellen und eingehend analysieren. Was ich aber schon feststelle, ist, dass es vielen – sowohl innerhalb Österreichs als auch außerhalb – derzeit ganz recht zu sein scheint, mit Ischgl einen Sündenbock gefunden haben. Wenn die Kritik dann aus Ländern kommt, die uns bei den gesetzten Maßnahmen meilenweit hinterherhinken, dann stellt sich schon die Frage, wie gerechtfertigt diese ist.

Tiroler Bauernzeitung: Die getroffenen Maßnahmen schneiden tief in den Alltag der Menschen ein. Viele fragen sich, ob man nicht überreagiert.

PLATTER: Ich kann verstehen, dass diese Frage viele Menschen beschäftigt. Allerdings reicht ein Blick nach Italien oder Spanien, um zu sehen, dass wir keine andere Wahl haben als restriktive Maßnahmen zu setzen. Wenn wir nicht massiv gegensteuern, sind wir in ein paar Wochen dort, wo beide Länder heute sind: Die Gesundheitssysteme stehen am Rande des Zusammenbruchs, Menschen können kaum mehr behandelt werden. Soweit darf es bei uns nicht kommen. Die nächsten Wochen werden uns alles abverlangen. Aber um Menschleben zu retten, ist es dringend notwendig, dass wir alle uns an die strengen Vorgaben halten. Nur durch eine Reduktion der sozialen Kontakte können wir die Ausbreitung des Virus eindämmen und verhindern, dass auch unser Gesundheitssystem kollabiert.

Tiroler Bauernzeitung: Glauben Sie, dass die Krise unsere Gesellschaft nachhaltig verändern wird?

PLATTER: Ja, das glaube ich. Ich bin sogar überzeugt, dass diese Krise auch eine Chance sein kann. Derzeit herrscht im Land beispielsweise ein Zusammenhalt, wie ich ihn selten zuvor erlebt habe. Es gibt unzählige Initiativen, auch von der Jungbauernschaft/Landjugend, mit der Menschen, die sich derzeit besonders schwer tun, unterstützt werden. Vieles davon wird auch nach dieser Krise Bestand haben. Diese Solidarität macht unser Land stärker. Aber auch in anderen Bereichen merkt man, dass sich das Bewusstsein verändert.

Tiroler Bauernzeitung: Wie macht sich das bemerkbar?

PLATTER: In Zeiten wie diesen sieht man, wie wichtig Nahversorgung und heimische Produkte sind. Insofern bedeutet diese Krise eine Chance für die heimische Bauernschaft. Die Menschen erkennen, dass man für die Grundversorgung nicht auf ausländische Erzeuger angewiesen ist. Die heimischen Bäuerinnen und Bauern leisten Großartiges und stellen jeden Tag unter Beweis, dass man sich auch in schwierigen Zeiten zu hundert Prozent auf sie verlassen kann. Der Wert von gesunden Lebensmitteln direkt aus der Region wird vielen erst jetzt so richtig bewusst. Das wird nachhaltig Spuren hinterlassen.

Tiroler Bauernzeitung: Auch wenn die gesundheitlichen Aspekte jetzt natürlich im Vordergrund stehen, machen sich viele Menschen Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Wie schätzen sie die Auswirkungen dieser Krise ein?

PLATTER: Wenn man sich die Zahlen und Prognosen anschaut, dann wäre es unredlich zu sagen, dass wir das alles locker wegstecken werden. Um die Betriebe zu unterstützen und möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten, haben sowohl der Bund als auch wir als Land millionenschwere Hilfspakete geschnürt. Alleine Tirol pumpt 400 Millionen Euro in den Wirtschaftsstandort Tirol. Jetzt macht sich bezahlt, dass wir in Tirol die letzten Jahre so sparsam gewirtschaftet haben. Aber trotz aller Bemühungen muss man realistisch bleiben: Wir helfen, wo es geht, aber für manche Unternehmen wird diese Krise zur Existenzfrage werden.

Tiroler Bauernzeitung: Trauen Sie sich eine Prognose zu, wie lange die harten Maßnahmen noch aufrechterhalten werden müssen?

PLATTER: Man muss die Situation tagtäglich neu bewerten und schauen, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Ich warne davor, die Maßnahmen zu früh zu lockern und zu riskieren, dass die Krankheitsfälle wieder in die Höhe schnellen. Was unser Land jetzt braucht, sind Zusammenhalt, Eigenverantwortung und Solidarität, aber auch Durchhaltevermögen. Eigenschaften, die uns in Tirol seit jeher auszeichnen. Deshalb bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir diese Krise meistern und gestärkt aus dieser hervorgehen werden – als Land und als Gesellschaft.

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