Die Verantwortung des Agrarsektors für einen hinreichenden Klimaschutz über Einsparungen bei den Treibhausgasemissionen dürfe nicht allein auf die Bauern abgewälzt werden, fordert jetzt Frankreichs Agrarminister Marc Fesneau. Im Interview mit Agra-Europe spricht sich der Franzose auch klar gegen weitere Notfallzulassungen für Neonikotinoide aus.

Sie sind seit knapp drei Monaten Agrarminister. Setzen Sie sich für die Versöhnung mit den Umweltorganisationen ein, mit denen sich Ihr Vorgänger zuletzt überworfen hatte?
FESNEAU: Die Frage, ob ich der Minister für Versöhnung bin, müssen andere beantworten. Klar ist aber, dass wir uns zur Erreichung der Ernährungssouveränität mit allen Akteuren an einen Tisch setzen müssen. Dazu gehören auch die Umweltorganisationen. Dass es mit ihnen kontroverse Debatten geben kann, ist für mich normal. Es ist jedenfalls wichtig, langfristig vorauszuplanen, etwa beim Klimaschutz. Aber es ist auch angesichts der multiplen Krisen entscheidend, an der Seite der Bauern zu stehen, deren Ernten vermehrt durch Dürre und Hagel betroffen sind. Parallel dazu müssen wir der Landwirtschaft langfristige Perspektiven aufzeigen.

„Wir müssen in Zeiten der Krise an der Seite der Bauern stehen“

Der französische Bauernverband wirft Ihnen vor, Sie hätten es nicht geschafft, sich bei Abschluss der Verhandlungen mit der EU-Kommission zum nationalen GAP-Strategieplan gegen Brüssel durchzusetzen?
Ziel war es, ein möglichst inklusives Gesamtpaket zu schnüren. Das ist im Großen und Ganzen gelungen. Es ging auch um eine Abstimmung mit der Europäischen Kommission, die Anmerkungen gemacht hat, auf die wir reagieren mussten. Bei vielen Themen haben wir Kompromisse gefunden, die der französischen Vision zur GAP entsprechen, wie die Sonderregeln zum Fruchtwechsel. So können unsere Ackerbauern künftig mit einer Winterbedeckung den Brüsseler Anforderungen genügen. Auch die Kommission ist uns entgegengekommen. Jedenfalls wurde unserem Plan als einem der ersten in der EU von Brüssel der Segen erteilt.

Frankreichs Bauernverband ist für seine teils scharfe Kritik bekannt. Geht der Berufstand zu hart mit Ihnen ins Gericht geht?
Jeder hat seine Forderungen, die natürlich zu respektieren sind. Wir haben einen ausgewogenen nationalen GAP-Strategieplan erstellt. Mein Anliegen ist eine Agrarpolitik, die für alle Landwirte tragbar ist, auch für die Biobetriebe.

Die Lebensmittelpreise sind überall in der EU kräftig angestiegen. Paris hat nun für Ende des Jahres einen Lebensmittelgutschein angekündigt. Was hat man sich darunter vorzustellen? Wie finanzieren Sie diesen?
Der geplante Gutschein hat vor allem eine soziale Dimension: Menschen, die keinen Zugang zu nachhaltigen und hochwertigen Lebensmitteln haben, sollen solche erhalten, ohne dass die Preise auf Kosten der Landwirte sinken. Im Idealfall sollten neben dem Staat auch die großen Einzelhandelsunternehmen ihren Anteil übernehmen. Die Frage der genauen Finanzierung wird während der Prüfung des Haushaltsgesetzes im Herbst erörtert. Außerdem müssen wir noch den Umfang der Produkte festlegen, die für diesen Lebensmittelscheck in Frage kommen. Zur Diskussion stehen insbesondere frische Produkte, Erzeugnisse mit Herkunftskennzeichen, Biolebensmittel sowie Obst und Gemüse.

Eine besondere Herausforderung für die Landwirte stellen der Klimawandel sowie der Klimaschutz dar. Der Ausstoß der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen stagnierte zuletzt auch in Frankreich. Als wichtigste Hebel zur Emissionseinsparung gelten Anpassungen in der Tierhaltung und bei Düngemitteln. Was muss daher getan werden?
Grundsätzlich bewegen wir uns in die richtige Richtung. Ich bin gerade dabei, Branchenvertreter zu treffen, um mit ihnen einen geeigneten Fahrplan abzustimmen. Wir dürfen die Verantwortung nicht allein auf die Landwirte abwälzen. Auch die vor- und nachgelagerten Bereiche müssen ihre Einsparmöglichkeiten noch stärker nutzen. Den Landwirten müssen außerdem die richtigen Technologien bereitgestellt und Absatzmärkte gesichert werden. Ein gewisses Einsparpotential gibt es bei der Rinderfütterung, auch bei der Lagerung und Wiederverwendung von Stalldünger. Unter dem Strich finde ich die französische Rinderhaltung, insbesondere auf der Weide, sehr nachhaltig. Im Vergleich zu vielen Drittstaaten hat sie Vorbildcharakter und pflegt die Landschaft. Zum Klimaschutz in der Landwirtschaft ist auf jeden Fall eine bessere Abstimmung auf europäischer Ebene über die richtigen Maßnahmen nötig.

Gerade die Rinderhaltung steht wegen ihres Methanausstoßes klimapolitisch besonders am Pranger…
Meine Philosophie ist nicht, die Wiesen zu erhalten und gleichzeitig die Kühe auf ihnen zu entfernen. Vor allem, wenn der Konsument weiterhin so viel Fleisch isst, das aus Ländern importiert wird, die weniger mit Bedacht wirtschaften als wir. Ohne Viehzucht gibt es auch kein Weideland mehr. Diese Flächen haben eine wichtige ökologische Funktion. Man kann die Tierzucht nicht durch Hecken und Bäumen ersetzen. Ich werde mich jedenfalls niemals auf eine Stigmatisierung der Viehzucht einlassen. Sie ist ein wesentlicher Pfeiler unserer ernährungspolitischen Souveränität.

Wie stehen Sie zum EU-Vorschlag, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln EU-weit bis 2030 um die Hälfte reduziert werden soll?
Bisher handelt es sich nur um einen Vorschlag. Wir befinden uns also noch ganz am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens. Wir begutachten das derzeit und es wird einen Dialog zwischen den EU-Agrarministern, der Kommission und dem Europaparlament geben. Mir ist wichtig, dass wir einen europäischen Rechtsrahmen entwickeln, der auch die Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EU angeht. Die Landwirte und die Pflanzenschutzmittelindustrie haben längst verstanden, dass wir den Pestizideinsatz reduzieren müssen. Wichtig ist es, Lösungen zu finden, die wirtschaftlich und ökologisch tragfähig sind. Neonikotinoide sind hier ein perfektes Beispiel.

„Zum Einsatz von Neonics gibt es bereits praktikable Alternativen.“

Inwiefern?
Frankreich hatte 2015 zunächst erklärt, „wir hören auf“, und das ohne Alternativen. 2020 kam es dann bei wichtigen Kulturen zu drastischen Produktionsrückgängen. Für mich gilt daher die einfache Regel: Um etwas verbieten zu können, muss man zuerst Alternativen bereitstellen.

Was heißt das für die in Frankreich geltende Notfallzulassung für Neonics in Zuckerrüben, die mit 1. Juli nächsten Jahres ausläuft?
An diesem Datum wird nicht mehr gerüttelt. Wir haben umfangreiche Forschungsmittel eingesetzt, es gibt bereits glaubwürdige und praktikable technische Alternativen.

- Bildquellen -

  • Marc Fesneau: Europäische Union
- Werbung -
AUTORRed. B.W.
Vorheriger ArtikelTotY: Das sind die Finalisten
Nächster ArtikelEntnahmebescheide für drei Wölfe