Merkeldämmerung

Kommentar von Conrad Seidl,
Redakteur “Der Standard”

Die Vorgänge in der CDU werden manchen deutschen Bürgerlichen neidvoll nach Österreich blicken lassen. Hier hat die ÖVP etwas, was der Union in Deutschland langsam, aber sicher entgleitet, nämlich: Führungskraft. Diese hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel mühsam in der Nachfolge Gerhard Schröders aufbauen müssen. Sie hatte diese Führungsstärke vor allem in der Außen- und EU-Politik demonstriert, innenpolitisch war sie ihr daraufhin quasi zugeflogen. Erkauft wurde das allerdings mit großer ideologischer Zurückhaltung – von der CDU weiß man heute nur, dass sie irgendwo in der Mitte steht und nicht links und schon gar nicht rechts anstreifen will.
Das hat sich nicht gebessert, als Angela Merkel die Parteiführung an Annegret Kramp-Karrenbauer abgegeben hat, im Gegenteil: AKK, wie die Merkel-Nachfolgerin abgekürzt wird, hat sich überall als gute Zuhörerin, aber nicht als Entscheiderin oder gar als Leitfigur profiliert – und ist in Thüringen krachend gescheitert, wo sie ein Zusammenwirken der CDU mit der Rechtsaußenpartei AfD hätte verhindern wollen.
Also Rücktritt AKK. Und alle Fragen offen. Vor allem jene: Wozu braucht man eine Partei der bürgerlichen Mitte? Wer die richtigen Antworten – wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitisch – weiß und überzeugend zu vertreten versteht, hat gute Chancen, Parteichef zu werden. Und die Union in die Wahl zu führen – möglichst schon als Kanzler, da wird Merkel wohl Platz machen müssen. Wie das geht, das schauen sich deutsche Politikexperten gerade in Österreich an.

conrad.seidl@gmx.at

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