Hoffnung für den Pflanzenschutz

Karin Guendel Gonzales sorgt sich über den Verlust von Wirkstoffen für den Pflanzenschutz, vor allem in Sonderkulturen. Und sie verlangt: Bei der Zulassung von Spritz-, Streu- oder auch Beizmitteln müsse die Abwägung von Nutzen und Risiko mehr im Vordergrund stehen.

Karin Guendel Gonzales warnt: „Seit 2019 sind 76 Wirkstoffe weggefallen. In den nächsten zehn Jahren könnten zudem weitere 40 Prozent vom Markt verschwinden.“

Auch Deutschlands Agrarminister der einzelnen Länder haben jüngst die „prekäre Zulassungssituation“ bei Pflanzenschutzmitteln thematisiert. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?

GUENDEL GONZALES: Es sind immer weniger Pflanzenschutzmittelwirkstoffe verfügbar. 2019 wurde der letzte neue chemische Wirkstoff genehmigt. Seither sind aber 76 weggefallen und in den nächsten zehn Jahren könnten weitere 40 Prozent vom Markt verschwinden. Das stellt uns vor enorme Herausforderungen, speziell bei den Sonderkulturen und bei den Insektiziden. Viele Kulturen wie Hopfen, aber auch der Gemüse- oder der Obstbau werden ein sehr großes Problem bekommen. Die Schädlingsbekämpfung wird wahrscheinlich in den kommenden Jahren zum Großteil nur noch über Notfallgenehmigungen zu decken sein. Auch bei Fungiziden stehen wir mit dem Rücken an der Wand. Hier besteht die Gefahr, dass der Erdbeeranbau in Deutschland schlicht und ergreifend bald nicht mehr möglich sein wird.

Was halten Sie von Notfallzulassungen?

Für uns sind sie eher ein Problem, weil wir nicht planen können. Wir erhalten die Zulassungen kurzfristig und müssen dann die Produkte vorhalten. Auch für die Landwirte ist das schwierig. Zudem ist der Bürokratieaufwand enorm. Leider sind Notfallzulassungen bei Sonderkulturen mittlerweile die Regel. Sie nehmen auch im Ackerbau zu. Obstbaubetriebe stellen sich daher die Frage, ob es noch Sinn macht, den Betrieb an die nächste Generation weiterzugeben, wenn sie keine Planungssicherheit mehr haben, was die Blattlaus- oder Milbenbekämpfung betrifft.

Eine Forderung lautet, in der europäischen Regulierung sei künftig eine „wissenschaftsbasierte Nutzen-Risiko-Abwägung“ statt einer gefahrenorientierten Bewertung von Wirkstoffen vorzunehmen. Wäre das der richtige Ansatz?

Absolut! Im Moment werden nur die gefahrenbasierten Kriterien betrachtet und nicht genug, wie das Pflanzenschutzmittel der Landwirtschaft nützt. Die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko des Pflanzenschutzmittels muss mehr in den Vordergrund gestellt werden. Und wir müssen beim zentralen Risikomanagement schneller werden. 

In Deutschland gab es auch die Forderung, das Umweltbundesamt, kurz UBA, abzuschaffen. Eine gute Idee?

Wir würden das UBA nicht abschaffen wollen. Dessen Aufgabe ist die Prüfung der Umweltsicherheit von Pflanzenschutzmitteln. Und das muss passieren. Aber das deutsche UBA hat andere Rechte als vergleichbare Behörden in anderen Staaten, darunter ein Vetorecht. Und das ist aus unserer Sicht nicht hilfreich, sondern es behindert den ganzen Registrierungsprozess und macht ihn auch unausgewogen.

Was schlagen Sie also vor?

Nicht alle Behörden sind gut genug ausgestattet und haben das nötige Personal. Das merken wir schmerzhaft in den Entscheidungsprozessen. Auch Klagen und Widersprüche binden Kapazitäten, die wir aber eigentlich für die Genehmigung von Produkten oder Digitalisierungsprojekten bräuchten. Generell wünschen wir uns eine Entpolitisierung der Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel.

Welche Erwartungen haben Sie an die neue Regierung in Deutschland?

Erst mal begrüße ich, dass es so schnell zu einem Koalitionsvertrag gekommen ist. Viele Punkte darin machen wirklich Hoffnung, dass sich für die Wirtschaft etwas bewegt, dass Prozesse vereinfacht und beschleunigt werden. Und so auch Innovationen schneller auf den Markt kommen oder Produkte auf den Märkten
gehalten werden können.

Und an die aktuelle EU-Kommission?

Agrarkommissar Christophe Hansen ist an der Praxis interessiert. Das ist ein gutes Signal. Man sieht, dass er sich wirklich mit Betrieben auseinandergesetzt und sich deren Nöte und Probleme angehört hat. Gleichzeitig hat sich der Druck auf Europa erhöht. Wir müssen dafür sorgen, dass die Landwirtschaft hier funktioniert und wir uns im Notfall selbst versorgen können. Die Kommissare für Landwirtschaft, Gesundheit und Umwelt müssen an einem Strang zu ziehen, um das zu erreichen. Und ich sehe, dass sich bereits verändert, wie wir zum Beispiel über Pflanzenschutz und insgesamt über Landwirtschaft in Europa reden. Sie sehen, ich habe Hoffnung. Welche Landwirtschaft wir in Deutschland oder Österreich möchten, ist dabei nicht zu unterschätzen. Was wir denken, wie wir agieren, wie wir abstimmen in den jeweiligen Gremien spielt eine Riesenrolle auf EU-Ebene. 

Guendel Gonzales: “Im Moment werden nur die gefahrenbasierten Kriterien betrachtet und nicht genug, wie das Pflanzenschutzmittel der Landwirtschaft nützt.“ 

Ein Produkt aus dem Bayer-Portfolio, nämlich Glyphosat, wird heftig kritisiert. Ein Argument für das Herbizid ist, dass damit keine wendende Bodenbearbeitung nötig ist,
weniger Diesel verbraucht und so weniger CO2 ausgestoßen wird. Dringt Bayer mit diesen Argumenten eigentlich durch?

Ich glaube, wir müssen die Konsumentinnen und Konsumenten mehr aufklären, was die Vorteile sind – auch im Vergleich zu anderen Herbiziden. Es ist eine sehr emotionale Debatte, bei der auch Falschinformationen kursieren. Allerdings braucht man ein gewisses landwirtschaftliches Verständnis. Oft sind die Prozesse sehr komplex und technisch und daher nicht einfach vermittelbar. Wir werden mit Emotionen konfrontiert und müssen mit Fakten antworten. Aber Fakten helfen auch nicht immer.

Dass Bayer auch Saatgut anbietet ist weniger bekannt. Wie groß ist der Anteil dieser Sparte?

In Deutschland und Österreich ist das Pflanzenschutzgeschäft immer noch weit größer. Aber der Bereich Saatgut wächst. Wir haben bei einigen Kulturen eine gute Position, etwa bei Mais. Ich erwarte künftig ein großes Wachstum bei den Marktanteilen. Ende des Jahres bringen wir für Sonderkulturen eine neue Erdbeersorte auf den Markt. Zudem wollen wir langfristig auch Hybridweizen anbieten.

Zurück zum Pflanzenschutz: Wo stellen Sie die Sonderkulturprodukte eigentlich her?

Vor allem in Europa. Wir produzieren einige Wirkstoffe auch in anderen Ländern, so in den USA. Für den Sonderkulturbereich werden die Produkte meist in Deutschland und Frankreich formuliert. An den gleichen Standorten, wo wir auch Pflanzenschutzprodukte für den Ackerbau herstellen.

Können Sie schon abschätzen, wie sich die aktuelle Zollentwicklung auf Ihr Geschäft auswirken wird?

Grundsätzlich lehnen wir als Wirtschaftsunternehmen natürlich jede Art von Handelsbarrieren ab, weil es eigentlich immer eine Lose-Lose-Situation ist. Man sieht ja schon, dass es der Wirtschaft dadurch nicht besser geht. Alles hängt aber davon ab, welche Zölle und Gegenzölle am Ende von verschiedenen Ländern erhoben werden und wie lange sie greifen. Wie hart uns das treffen wird, kann man noch nicht pauschal beantworten. Was mich aber viel mehr umtreibt, ist die Situation der Landwirtschaft in den USA und die Gefahr, dass sich Warenströme verschieben. Wenn etwa Mais oder Soja nicht mehr so leicht von den USA nach China exportiert werden können und sie in Zukunft aus Brasilien kämen, dann verschieben sich plötzlich Handelsströme in der Welt und das hat natürlich Konsequenzen für die Landwirte in den jeweiligen Staaten. Wir selbst können unsere Produktionsressourcen nicht so schnell von einem Ort zum anderen verlagern.

Zur Person

Karin Guendel Gonzalez ist Geschäftsführerin der Bayer CropScience Deutschland GmbH, der Länderorganisation für Deutschland und Österreich der Division CropScience der Bayer AG. Seit Mai 2024 ist die diplomierte Betriebswirtin zudem die Vizepräsidentin des Industrieverbandes Agrar (IVA) und auch Vorsitzende des IVA-Vorstandes Pflanzenschutz.

Das Interview mit der Agrochemie-Managerin wurde von Agra-Europe geführt.

- Bildquellen -

  • Karin Guendel Gonzalez: Bayer CropScience
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AUTORRed. BW
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