Das umgangssprachlich als „Genschere“ bezeichnete Verfahren ist aus Sicht der BOKU-Wissenschaftler „weder Zauberstab noch Risikotechnologie“.

Europa ist nicht der Nabel der Welt. So oder so ähnlich könnte man die Botschaft des diese Woche an der Universität für Bodenkultur (BOKU) abgehaltenen Symposiums zur Grünen Gentechnik zusammenfassen. Seit die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna für die Entwicklung der Genschere (CRISPR/Cas) den Nobelpreis erhielten, hagelt es in Europa Kritik. In der EU und insbesondere im traditionell „gentechnikfreien“ Österreich hält man herzlich wenig vom neuen Verfahren, das ursprünglich für die Medizin entwickelt, auch in der Pflanzenzucht neue Möglichkeiten bietet. Umso größer war auch der Aufschrei, als die EU-Kommission 2023 eine Novelle des Gentechnikrechts vorlegte, welche NGT nicht im Bereich der klassischen Gentechnik (GVO) verortete, sondern sie als klassisches Züchtungsverfahren beurteilt.

Das Verfahren

Doch was genau steckt hinter der für manche ominösen neuen Gen-Editierung, die eine umfassende Änderung des Rechtsrahmens bedarf? Beim CRISPR/ Cas-Verfahren wird mittels „Genschere“ das bestehende Erbgut einer Pflanze durch natürliche molekularbiologische Prozesse verändert, wie dies auch in der bekannten – und von der EU-Gentechnikverordnung seit jeher ausgenommenen – Mutationszüchtung geschieht. Damit unterscheidet sich dieses NGT-Verfahren wesentlich von der seit den 1990er-Jahren gebräuchlichen GVO-Züchtung, wo artfremde Genetik in das Pflanzenerbgut eingebracht wird. Der größte Pluspunkt: Mit CRISPR/Cas können die Züchter gezielt mutieren und den Zuchtfortschritt gegenüber bisherigen Methoden erheblich beschleunigen.

Prof. Bürstmayr: „Die EU wird sich in den nächsten Monaten positionieren müssen, und wir wollen die Diskussion nicht allein den Gentechnik- Gegnern überlassen.“

Aus züchterischer Sicht spricht also viel für Grüne Gentechnik. Dennoch steckt das dazu notwendige Regelwerk seit gut zwei Jahren im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren fest. An der BOKU will man deshalb Bürgern wie Politikern die Ängste vor der neuen Technik nehmen und veranstaltete gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine prominent besetzte Tagung. „Die EU wird sich in den nächsten Monaten positionieren müssen, und wir wollen die Diskussion nicht allein den Gentechnik- Gegnern überlassen“ gab sich Hermann Bürstmayr, Professor für Pflanzenzüchtung an der BOKU, eingangs kämpferisch. Das neue Verfahren sei weder „Zauberstab noch Hochrisiko- Technologie“, im Gegenteil. Es gelte schlicht ein weiteres Werkzeug zur Anwendung zu bringen.

Soja ohne Hitzebehandlung, Erdäpfel ohne Phytophthora

 

Andere Länder, allen voran China, aber auch Großbritannien, hätten die Europäische Union bei der Forschung zum Thema längst überholt und erzielen bereits brauchbare Ergebnisse, teilt man mit. So sei mittlerweile klar, dass die Genschere bei zahlreichen Pflanzenkrankheiten rasch Abhilfe schaffen könne. Bürstmayr: „Wir können mit ihr einzelne Gene schnell verändern.“ Krankheitsresistenzen, aber auch Qualitätseigenschaften und Pflanzenarchitektur könne man im pflanzeneigenen Genom modifizieren. In Versuchen konnte etwa der Gehalt an antinutritiven Stoffen in Soja soweit gesenkt werden, dass man diesen für Futterzwecke nicht mehr toasten müsse. Aber auch eine Krautfäule-Resistenz bei Kartoffeln wäre denkbar, informiert der Pflanzenzüchter. Das hätte „gerade für die Biobranche“ erhebliche Vorteile, ergänzt er.

Mit CRISPR/Cas gegen Problemunkräuter

Quelle: Screenshot/Livestream BOKU
Runo: „Für uns kam CRISPR/Cas gerade zum richtigen Zeitpunkt.“

Als Vorreiter bei der Anwendung der Genschere hat sich laut Hermann Bürstmayr auch der globale Süden erwiesen. Davon konnte sich auch das Publikum am Symposium überzeugen. Als Gastreferent war Steven Runo angereist. Der Pflanzenzüchter lehrt an der Kenyatta Universität in der Hauptstadt Kenias, Nairobi. „Für uns kam CRISPR/Cas gerade zum richtigen Zeitpunkt“, berichtet er. Denn die Bauern in Afrika südlich der Sahara plagt seit geraumer Zeit ein Unkraut mit massiver Zerstörungskraft.

„Striga“, auch „Hexenkraut“ genannt, befällt dort alle gängigen Ackerkulturen mit Ausnahme der Leguminosen. Die Krux: Das Unkraut wächst nicht nur oberirdisch, sondern parasitiert auch die Pflanzenwurzeln von Sorghum, Mais und anderem Getreide. Die Kultur vergilbt im Schnitt nach 30 Tagen. „Infizierte Bestände haben in der Regel Totalausfälle“, erklärt Runo. Mittlerweile sind seinen Angaben zufolge 400 Hektar in Zentralafrika über Jahrzehnte verseucht. Die dort wirtschaftenden Kleinbauern, welche im Schnitt nur 0,8 bis 1,2 Hektar Land ihr Eigen nennen, stehen vor dem Nichts. „Die einzige Möglichkeit der Bekämpfung war bisher das händische Ausreißen, um das Aussamen zu verhindern. Oft wird das von den Kindern am Hof erledigt“, so der Wissenschaftler.

Quelle: ETHAN BASS - WIKIMEDIA COMMONS
Striga (hier rosa blühend) parasitiert alle in Afrika gängigen Kulturpflanzen, außer Leguminosen.

„Anders als die Europäer haben wir mit Striga tatsächlich ein drängendes Problem, das wir mit der Genschere lösen wollen“, erklärt er. Zwar gehört auch Kenia zu einem von sechs Staaten in Afrika, die Gentechnik regulieren, bei NGT genüge aber jeweils ein einzelner Nachweis, dass keine fremden Gene eingebracht wurden, um es als konventionelles Verfahren genehmigt zu bekommen.

Runo: „Damit wollen wir entscheidend zur Sicherung der Ernährung in Afrika beitragen und die Produktivität unserer Landwirte weiter steigern.“

Und so forschen Runo und seine Kollegen an Striga-resistenten Mais-, Hirse- und Reissorten. „Bei einer Sichtung der Saatgutdatenbanken sind uns einige Sorten aufgefallen, die durch das Unkraut kaum an Vitalität verlieren“, erläutert er. Mittlerweile sei es gelungen, die dafür verantwortlichen Gene zu finden und diese in anderen Sorten einzutragen. Derzeit laufen Feldversuche, in ein bis zwei Jahren soll das resistente Saatgut den Bauern zur Verfügung stehen. Runo: „Damit wollen wir entscheidend zur Sicherung der Ernährung in Afrika beitragen und die Produktivität unserer Landwirte weiter steigern.“

Genschere-Totalverbot: Nur eine Illusion?

In einem zweiten Themenblock holte Adolf Marksteiner von der LK Österreich die Zuhörer gedanklich wieder zurück in die Alpenrepublik. Der Leiter der Abteilung Marktpolitik steht in der Diskussion an vorderster Front und trifft regelmäßig Vertreter der NGT-Kritiker: „Für Österreichs Landwirtschaft war ‚gentechnikfrei‘ seit den 1990er-Jahren ein tolles Alleinstellungsmerkmal“ holt er aus, auch die Einwände der Gegner betreffend Patentierbarkeit und Qualität der Lebensmittel seien – zumindest bei GVO – durchaus berechtigt. Allerdings sei die globale Entwicklung bei Grüner Gentechnik wohl kaum aufzuhalten, „schon gar nicht auf offenen Weltmärkten“, wie der Agrarexperte erklärt: „Ein nationales Totalverbot ist maximal eine kurzfristige Illusion, aber sicher keine langfristige Lösung.“

Dem pflichtet auch Hermann Bürstmayr bei: „Über kurz oder lang landet NGT auf unseren Tellern. Wenn nicht von heimischen Äckern, dann eben über den Import.“ Marksteiner sieht dennoch die Wissenschaft gefordert, die zahlreichen Missverständnisse rasch auszuräumen. „Die Landwirtschaft kann hier nur unterstützen, tun müssen es andere“, meint er.

Das Symposium kann hier in voller Länge nachgesehen werden (englische Sprache).

- Bildquellen -

  • Steven Runo: Screenshot/Livestream BOKU
  • Striga in Mais: ETHAN BASS - WIKIMEDIA COMMONS
  • Symbolbild Labor Getreide: COUNTRYPIXEL - STOCK.ADOBE.COM
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AUTORClemens Wieltsch
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