Groß war die Erleichterung, als am 22. Juli unter Vermittlung der Vereinten Nationen die Kriegsparteien Russland und Ukraine jeweils getrennt ein Abkommen mit der Türkei abzeichneten und die Ausfuhr von Getreide über drei Schwarzmeerhäfen ermöglichten. Nun wird wieder exportiert, mit Hindernissen.

Kiew ist ambitioniert
Im heurigen Wirtschaftsjahr plant die Ukraine nunmehr 65 bis 70 Mio. Tonnen Getreide und Ölsaaten zu exportieren, davon gut ein Drittel aus dem Rückstau der Vorjahresernte, schilderte Taras Vysotskyi, Erster Stellvertretender Minister für Agrarpolitik und Ernährung, jüngst in einem Pressegespräch. Bei einem nationalen Bedarf von 20 Mio. Tonnen Getreide soll von der diesjährigen Ernte über 40 Mio. Tonnen exportiert werden.

Getreide wird auf LKW verladenQuelle: Andrew Shots - stock.adobe.com
Transportlogistik im Kriegsgebiet: Nach wie vor kompliziert und kostenintensiv.

Begrenzender Faktor ist dabei trotz der teilweise geöffneten Schwarzmeerhäfen die Logistik. Derzeit werden rund 3 Mio. Tonnen Getreide pro Monat per LKW, Flussschifffahrt, Bahn und über die Schwarzmeer-Korridore exportiert. Man arbeitet am weiteren Ausbau, um das Vorkriegsniveau von 5 bis 6 Mio. Tonnen zu erreichen, kämpfe jedoch mit Hindernissen wie etwa den unterschiedlichen Spurweiten bei Zügen, so der Minister. Die ukrainischen Landwirte ächzen unterdessen unter steigenden Betriebsmittelpreisen und anhaltend hohen Transportkosten. „Bislang verkaufen die ukrainischen Landwirte ihre Produkte zu einem Preis, der kaum die Selbstkosten deckt“, sagt Vysotskyi.

Trotzdem seien bereits 60 Prozent der Winterungen angebaut, einige Fruchtfolgen wurden umgestellt. „Unsere Landwirte haben sich ein wenig von Getreide auf Ölsaaten umorientiert“, berichtet der Vizeminister. Zugenommen habe der Anteil von Raps. Sojabohnen und Sonnenblumen auf Kosten von Weizen. „Es liegt auch auf der Hand, dass die Landwirte Kulturen anbauen wollen, die einen höheren Preis pro Tonne, haben, weil die Logistikkosten pro Tonne die gleichen sind“, begründet Vysotskyi die betriebswirtschaftlichen Hintergründe der Bauern. Eine Abkehr von diesem Trend erwartet man in Kiew auch 2023 nicht.

Moskau in Helferlaune
Auch in Russland zeigt man sich bereit, bis Jahresende noch bis zu 30 Mio. Tonnen Getreide auszuführen, „um bedürftige Länder zu unterstützen und zur Stabilisierung der Ernährungslage beizutragen“, wie es das russische Landwirtschaftsministerium laut APA zuletzt formulierte. Eine Gesamternte von 130 Mio. Tonnen Getreide erwartet man in Moskau, davon allein 87 Mio. Tonnen Weizen. Die Exportzahlen sagen vorerst aber noch etwas anderes, wie das Beratungsunternehmen Sovecon gegenüber Reuters wissen ließ. Demnach waren die Exportmengen im Juli und August um gut ein Viertel (27 %) kleiner als im Vorjahr und so gering wie zuletzt im Sommer 2017.

Studie dämpft Hoffnung
Eine im August vom Beratungsinstitut McKinsey vorgelegte Studie trübt unterdessen den Ausblick auf das kommende Jahr. Demnach drohe die Versorgungslage 2023 zu kippen, aller derzeitigen Preisrückgänge auf den Getreidemärkten zum Trotz. Den Autoren zufolge könnten Ende nächsten Jahres weltweit 60 Mio. Tonnen Getreide fehlen. Das entspricht dem Ernährungsbedarf von 250 Mio. Menschen, rechnen die Experten vor. Für die nächste Ernte erwartet McKinsey auf ukrainischen Äckern eine Ertragsreduktion um mindestens ein Drittel (35 – 45 %). Dies wird durch die eingeschränkte Anbaufläche wegen Landminen und aktiven Kampfhandlungen, aber auch mit wirtschaftlichen Probleme wie Betriebsmittelteuerung und fehlender Liquidität der Landwirte argumentiert.

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AUTORClemens Wieltsch
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