Für starke Regionen im Land, gegen raue Töne im Plenum

Die Anliegen der Bauern und die Chancengleichheit des ländlichen Raumes gegenüber urbanen Ballungszentren hat Peter Raggl auch als Bundesratspräsident zur Sprache gebracht. Besondere Herausforderungen waren in seiner Amtszeit Corona-Auswüchse und der zweifache Kanzlerwechsel. Vor wenigen Tagen gab Raggl der BauernZeitung dieses Interview.

Peter Raggl hatte seit Juli den Vorsitz im Bundesrat inne und musste so manchen Ordnungsruf erteilen. FOTO: Foto: Parlamentsdirektion Thomas Jantzen

Seinen halbjährigen Vorsitz in der Länderkammer hat Raggl unter das Motto „Starke Regionen, starke Republik“ gestellt. Um zusätzliche Arbeitsplätze in den Regionen zu schaffen, baut er auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Tourismus. Ein Fokus sei auch auf die Breitbandversorgung, auf Mobilität und Nahversorgung und medizinische Versorgung zu richten. Österreich braucht einen wirtschaftlich starken, lebendigen ländlichen Raum, lautet sein Credo. Eingeläutet wurde die Vorsitzübernahme Tirols in der Länderkammer durch einen Tirol-Abend in der Hofburg, dem Hissen der Tirol-Fahne vor der Hofburg, dem Ausweichquartier des Parlaments und dem Aufmarsch der Schützenkompanie und der Musikkapelle Schönwies, Raggls Heimatgemeinde.

Wenige Tage vor Ende seiner Amtszeit gab Peter Raggl der BauernZeitung folgendes Interview:

BauernZeitung: Sie haben den Vorsitz im Bundesrat in einer sehr herausfordernden Zeit geführt. Was waren die heikelsten oder schwierigsten Situationen?
Raggl: Im Plenum war und ist es die generelle Verrohung des Umgangstons in der parlamentarischen Diskussion. Als Präsident habe ich immer wieder Ordnungsrufe erteilen müssen – sprechen wir es ruhig an – an Abgeordnete von der FPÖ. Es ist von Sitzung zu Sitzung schlimmer geworden. Natürlich braucht es auch schon mal eine durchaus harte politische Diskussion. Diktionen in Richtung Diktatur oder Unterwerfung der Bürger, die von Mitgliedern dieser Fraktion geäußert, übernommen und wiederholt, werden, halte ich für sehr bedenklich. Erst kürzlich habe ich an alle Bundesräte einen Appell gerichtet, dass wir Vorbild für die Bevölkerung sind. Unsere Aufgabe ist es, sachlich zu argumentieren und nicht die ohnehin wegen Corona und im Speziellen wegen der kommenden Impfpflicht aufgeheizte Stimmung in Teilen der Bevölkerung auch noch anzufeuern.

Das war atmosphärisch, wie lief es thematisch?
Im Sommer und bis zum neuerlichen Lockdown Ende November habe ich meine Vorhaben abarbeiten können. Mein Generalthema lautete „Starke Regionen, starke Republik“. Konkret geht es mir um die Wahrung der Chancengleichheit der ländlichen Regionen gegenüber den urbanen Regionen. Und da konnte ich einige Akzente setzen, auch um die Leistungen, allen voran unserer Bäuerinnen und Bauern, in den Vordergrund zu rücken und dafür in Stadt und Land Bewusstsein zu schaffen. Unsere Landwirtschaft braucht für ihre Arbeit mehr Wertschätzung und für ihre Erzeugnisse eine entsprechende Abgeltung. Es gab dazu eine spannende Enquete im Parlament mit sehr breiter Expertise für unsere Entscheidungsträger auf Bundesebene. Aber auch viele Landesräte und Landtagsabgeordnete sind da gewesen, für ein Update, wie es um den ländlichen Raum steht. Aber jetzt beherrscht natürlich wieder das Thema Pandemie auch den parlamentarischen Betrieb.

Die COVID 19-Krise bestimmt seit fast zwei Jahren unser tägliches Leben. Der Bundesregierung und den Bundesländern wird schlechtes Krisenmanagement vorgeworfen. Was ist falsch gelaufen? Oder ist etwas falsch gelaufen?
Ich werde mich hüten, zu sagen, es wurde alles richtig gemacht – das wirft man ja den Tirolern gerne vor (schmunzelt). Ich beneide aber auch niemanden, der dazu die Entscheidungen treffen muss, selbst und natürlich auch nach Beratungen mit den Experten. Und im Nachhinein, wie es heißt, „ein Buch von hinten zu lesen“, ist sicher einfacher, als vorausschauend Beschlüsse zu fassen. Imponiert hat mir etwa Bildungsminister Heinz Faßmann im Zusammenhang mit dem Offenhalten der Schulen. Er hat das damit begründet, es gebe nirgendwo einen kontrollierteren Ort mit wöchentlich dreimal Testen, wurde massiv dafür kritisiert, ist aber trotzdem stets dazu gestanden. Ähnlich war es bei Ex-Bundeskanzler Schallenberg. Als er den Lockdown ausrufen musste, gingen Tausende Leute auf die Straße. Ich beneide also keinen, der einschneidende Entscheidungen treffen muss.

Immer noch sind viele Menschen in Österreich nicht geimpft, auch im ländlichen Raum. Jetzt kommt die Impfpflicht, warum war das notwendig?
Leider ist es bis dato noch nicht gelungen, mit sachlichen Argumenten und Expertisen der Virologen und trotz Apellen von Klinikärzten und Spitalspersonal die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zu überzeugen, sich impfen zu lassen. Aber wir dürfen mit unseren Bemühungen nicht aufhören. Eigentlich sollte die Impfpflicht ab Februar das letzte Mittel der Wahl sein.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit in der Koalition nach dem Kanzlerwechsel?
Die ist nach dem zweifachen Kanzler-Wechsel sicher nicht einfacher geworden. Die Grünen haben zu einer neuen Stärke gefunden. Wir spüren das in vielen Bereichen, natürlich auch im landwirtschaftlichen Bereich, wenn es etwa um das Thema Tierwohl geht. Da gibt es jetzt auf einmal ganz andere Positionen der Grünen, auch weil sie glauben, ihre neue Position ausnützen zu können. Aber gerade der Bauernbund hält mit guten Argumenten entgegen. Wir sollten und müssen da schon auf die praktizierende Landwirtschaft hören und nicht auf irgendwelche Schreibtisch-Experten.

Ein zentrales Thema für die Landwirtschaft in den letzten Monaten war die Reform der GAP. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Das Brüsseler Ergebnis ist sehr zu begrüßen. Da müssen wir besonders noch unserem Altkanzler Sebastian Kurz dankbar sein, dass auch mit seiner Unterstützung die finanzielle Dotierung durchaus verbessert worden ist. Auf EU-Ratsebene sind ja weitere Verkürzungen im Raum gestanden. Jetzt gilt es natürlich, den nationalen Strategieplan final fertig zu verhandeln. Insgesamt bin ich überzeugt, dass die GAP-Reform zu mehr Berechenbarkeit für die Landwirte in den kommenden sieben Jahren führt.

Was bedeutet das Ausscheiden von Sebastian Kurz aus der Politik für die Volkspartei?
Unserer Gruppierung kommt mit seinem Rückzug das stärkste Zugpferd abhanden. Er war seit 2017 Garant für Wahlerfolge, nicht nur auf Bundesebene, auch auf Landesebene und auch darunter. Gott sei Dank haben wir mit Karl Nehammer erneut eine starke, vertrauensvolle Persönlichkeit an der Spitze der Partei und auch als neuen Bundeskanzler. Mit ihm und mit Geschlossenheit im Zusammenhalt gilt es nun, eine entsprechende Politik zu machen im Sinne unserer Wähler, die uns bei der Nationalratswahl 2019 ihr Vertrauen geschenkt haben.

Viele Bürger fragen sich: Sind Neuwahlen nächstes Jahr wahrscheinlicher geworden?
Ich wünsch es mir nicht. Ich glaube, wir haben ein sehr ambitioniertes Regierungsprogramm, das beide Koalitionspartner in einer fairen Auseinandersetzung in der dafür vorgesehenen Zeitspanne miteinander abarbeiten sollen.

Wie schaut im Hause Raggl das zweite Weihnachtsfest unter Pandemie-Bedingungen aus?
Ich habe seit Juli nur eine Woche Urlaub gehabt und war in dieser Zeit sehr viel in Wien, aber auch in den Bundesländern unterwegs. Nach den Bundesratssitzungen am 21. und 22. Dezember werde ich am 23. Dezember wahrscheinlich noch in Innsbruck im Bauernbund-Büro was aufzuräumen haben. Auf den Heiligen Abend freue ich mich sehr. Heuer sind wir daheim zu dritt, mein Sohn, meine Frau und ich. Meine Tochter ist derzeit als Au-pair-Mädchen in Kalifornien und wird virtuell teilnehmen. Wir werden also ein bewusst ruhiges Weihnachtsfest feiern.

Zur Person:

Dr. Peter Raggl, seit dem Jahr 2006 Direktor des Tiroler Bauernbundes,
ist seit März 2018 vom
Tiroler Landtag entsandtes Mitglied im Bundesrat.
Seit 1. Juli bis Jahresende ist der 53-jährige Jurist aus Schönwies auch Präsident des Bundesrates. Der letzte Bauernbündler in diesem dritthöchsten Amt im Staat war übrigens Peter Raggls Vorgänger in beiden Funktionen, Georg Keuschnigg, vor nunmehr genau neun Jahren.

Interview: Bernhard Weber

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