„Forderndstes Jahr meines Lebens“

Bundeskanzler Sebastian Kurz nach einem Jahr Corona-Pandemie über Lockdown-Müdigkeit, die Ansteckungsgefahr am Land, Entscheidungen der Regierung, die getroffen werden mussten, seine Kritik an der Impfstoffbeschaffung und wann er selbst beim Impfen an der Reihe ist.

Sebastian Kurz: „Ich bitte alle, sich an den Impfplan zu halten und sich nicht vorzudrängen.“ FOTO: BKA/Dragan Tatic

BauernZeitung: Die Durchimpfung der Österreicherinnen und Österreicher gegen Corona dürfte nicht so rasch über die Bühne gehen wie geplant. Wurden auch von der Bundesregierung zu hohe Erwartungshaltungen geweckt?
KURZ: Das Tempo der Umsetzung unseres Impfplans ist, wie in allen EU-Mitgliedsstaaten, abhängig vom Zeitpunkt der Marktzulassungen sowie den Lieferterminen und Liefermengen. Wir hoffen, dass bald weitere Hersteller eine EU-Zulassung beantragen und diese von der EMA rasch und unbürokratisch, unter Einhaltung der wissenschaftlichen Standards, erteilt wird. Jetzt ist es vor allem wichtig, dass die älteren Menschen und vulnerablen Gruppen so rasch wie möglich geimpft werden.

Eine Studie der Med.-Uni Wien hat ergeben, dass die Ansteckungsgefahr am Land höher ist als in den Ballungszentren. Was läuft hier falsch?
Es bringt in einer Gesundheitskrise nichts, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wir alle sind von der Pandemie betroffen und wollen möglichst schnell wieder unser normales Leben zurück. Es liegt in der Verantwortung eines jeden Einzelnen, seinen Beitrag zu leisten, sodass wir die Krise bestmöglich bewältigen.

Wie groß ist Ihr Verständnis für die wachsende Lockdown-Müdigkeit?
Den Frust vieler Menschen verstehe ich sehr gut, und es ist nachvollziehbar, dass von Tag zu Tag die Ungeduld und die Müdigkeit größer werden und viele das Wort Corona nicht mehr hören können. Auch ich sehne den Tag herbei, wo diese Pandemie ein Ende hat. Die neu auftretenden Mutationen sind sehr herausfordernd, aber ich bin nach wie vor optimistisch, dass wir bis zum Sommer in weiten Teilen wieder zur Normalität zurückkehren können.

„Koste es, was es wolle“ war Ihre Kampfansage an das Virus. Gilt das noch?
Das Ziel der Bundesregierung ist es, möglichst viele Menschen in Beschäftigung zu halten und den heimischen Unternehmen ihren Fortbestand zu sichern. Durch die Kurzarbeit ist es gelungen, viele Jobs zu retten, die sonst vernichtet worden wären. In den kommenden Monaten wird es eine zentrale Aufgabe sein, Österreich im Bereich Arbeit und Wirtschaft wieder zu alter Stärke zurückzuführen und jene Menschen, die wegen Corona ihren Arbeitsplatz verloren haben, wieder in Beschäftigung zu bringen.

Gab es zuletzt Entscheidungen, die Sie im Nachhinein lieber nicht getroffen hätten?
Wir hatten bislang einige Entscheidungen zu treffen, die keiner gerne trifft. Plötzlich mussten wir aufgrund von Corona, wie andere Staaten auch, ganze Wirtschaftszweige schließen, Ausgangsbeschränkungen verhängen und erwachsenen Menschen vorschreiben, wann sie sich mit wem treffen dürfen. Und obwohl ich von Migrationskrise bis zum Ibiza-Skandal schon viel erlebt habe, war das sicher das forderndste Jahr meines Lebens.

Betroffen vom Lockdown sind auch die Bauern. Für sie gibt es Unterstützung – für Härtefälle oder, um weiter zu investieren. Was die Agrarbranche bräuchte, wäre volle Transparenz für die Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln. Das fordern auch Umwelt- und Tierschützer, fast alle Konsumenten. Auch der Bundeskanzler?
Im Regierungsprogramm ist verankert, dass eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung der Primärzutaten Milch, Fleisch und Eier in der öffentlichen sowie privaten Gemeinschaftsverpflegung und in verarbeitenden Lebensmitteln noch in diesem Jahr erarbeitet wird. Gesundheitsminister Anschober ist gefordert, dieses wichtige Projekt rasch umzusetzen. Landwirtschaftsministerin Elli Köstinger ist diesbezüglich in engem Kontakt mit dem Gesundheitsministerium.

Angst haben viele Landwirte vor dem EU-Handelspakt mit dem Mercosur. Bleibt es bei Ihrem Nein zu diesem Freihandelspakt?
Wir lehnen das Abkommen in der jetzigen Form ab. Mit dem Abkommen gehen ungleiche Standards in der Produktion oder bei den Umweltauflagen einher. Es geht uns darum, die hohen Tierschutz- und Lebensmittelstandards der EU weiterhin zu schützen sowie einen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten. Zusätzlich kommt es durch das Mercosur-Abkommen zu Wettbewerbsnachteilen für unsere heimischen Landwirte.

Wie sehr hinterlassen Grenzsperren-Konflikte wie derzeit mit Deutschland wegen Tirol auf Dauer Spuren?
Ich stimme in dieser Frage mit Außenminister Alex- ander Schallenberg überein, der festgehalten hat, dass einige Äußerungen Deutschlands nicht ganz der Enge und Nachbarschaft angemessen sind. Die bayerischen Schritte erwecken den Eindruck, dass einige Maßnahmen wohl etwas überschießend waren.

Kritik gab es auch an der Impfstoffbeschaffung durch die EU. Deutschlands Kanzlerin Merkel sagt, im Grunde sei nichts schiefgelaufen. Teilen Sie diese Meinung?
Im Vergleich mit anderen Ländern, wie zum Beispiel Israel, wird deutlich, dass die Versorgung der EU-Bürger mit Impfstoffen nicht optimal verläuft, vor allem, was die Zulassungsgeschwindigkeit durch die EMA und die Lieferprobleme der Hersteller betrifft.

Ungarn verimpft bereits Sputnik aus Russland, andere EU-Länder planen das auch. Was halten Sie davon?
Wenn russische Impfstoffe in Europa durch die EMA zugelassen sind, dann würde Österreich ganz bestimmt versuchen, Produktionskapazitäten bei geeigneten einheimischen Unternehmen für russische Impfstoffe zur Verfügung zu stellen. Genauso wie für die Hersteller anderer Länder. Es geht bei den Impfstoffen einzig um die Wirksamkeit, Sicherheit und schnelle Verfügbarkeit, nicht um geopolitische Kämpfe.

Hunderte Bauernbündler sind Bürgermeister oder Gemeinderäte, Tausende
ehrenamtlich etwa bei Hilfsorganisationen, allen voran der Feuerwehr, engagiert. Nach Kritik an „Vordränglern“ ist bei vielen die Verunsicherung groß, sollte sie überraschend ein Impf-Angebot erreichen. Was raten Sie diesen?
Es gibt in Österreich einen Impfplan, der dafür sorgt, dass diejenigen Gruppen, die am dringendsten geschützt werden müssen, zuerst geimpft werden. Ich bitte alle, dass sie sich an den Impfplan halten und sich nicht unerlaubterweise vordrängen.

Ich bin 51, Sie sind 34 Jahre alt. Wer von uns beiden wird heuer zuerst geimpft?
Das entscheidet der Impfplan. Ich werde mich dann impfen lassen, wenn mir eine Impfung zusteht.

Nach einem Jahr Türkis-Grün gibt es hörbar Konfliktstoff: Wie gut können Sie noch mit Kogler & Co? Droht gar das vorzeitige Aus dieser Regierung?
Ich bin sehr optimistisch, dass wir bis zum Herbst 2024 in der Regierung weiter gut zusammenarbeiten. Es gibt noch sehr viel zu tun. Wir müssen gemeinsam die schwerste Pandemie seit hundert Jahren bewältigen und durch den Fokus auf Innovation und Ökologie schnell wieder zur wirtschaftlichen Stärke zurückfinden.

Fragen: Bernhard Weber

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