Ein Markt mit Potenzial

Produkte, die nach den jüdischen Speisegesetzen hergestellt werden, sind immer gefragter, auch in Österreich. Viele heimische Lebensmittel-Produzenten wissen aber nicht, wie eine Koscher-Zertifizierung abläuft.

Ein Maschgiach bei der Arbeit Foto: Panos Pictures / Visum / picturedesk.com

Weltweit gibt es etwa 14,6 Millionen Menschen, die dem Judentum angehören. Die Mehrheit von ihnen lebt heute in den USA und in Israel. In Österreich leben laut Angaben der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien aktuell wieder mindestens 15.000 Jüdinnen und Juden. Vor dem Einmarsch der Nazis 1938 bekannten sich hierzulande mehr als 200.000 Menschen zum Judentum. Nach Kriegsende lebten nach deren Vertreibung und Ermordung – der Shoa fielen etwa 65.500 jüdische Österreicher zum Opfer – nur noch 2.000 bis 5.000 Juden in Österreich.
Nicht nur die eher kleine Gruppe der streng gläubigen orthodoxen Juden legt im Alltag besonderen Wert auf die jüdischen Speisegesetze, hebräisch “Kaschrut” genannt. Diese geben gewisse Regeln vor. So wird genau festgelegt, wie Speisen produziert, zubereitet und gegessen werden dürfen. Der Markt für diese koscheren Produkte ist nicht zu unterschätzen – vor allem, wenn man auch über Österreichs Grenzen hinaus blickt.

Erlaubt: Koscher und Halal
“Koscher” steht wie auch das arabische Wort “Halal” (erzeugt nach den muslimischem Speisevorschriften) für “erlaubte” Lebensmittel für Juden und Muslime. Die Nachfrage und damit die Absatzmärkte für Beides steigen. Der Bedarf an koscheren Lebensmitteln, die auch in Österreich produziert werden, kann aber längst nicht gedeckt werden, hieß es jüngst in einem Webinar der WK Österreich mit deren Delegierten in Israel und den USA, Markus Haas und Verena Erhart, sowie dem Wiener Rabbiner Schlomo Hofmeister zum Thema “Koscherzertifizierung: Erschließen Sie neue Kunden”.
Obwohl es bei den beiden Ernährungsformen natürlich Unterscheidungen gibt, spricht ein Koscher-Zertifikat, nicht nur jüdische Konsumenten an. “Und Halal bedeutet zwar nicht gleich Koscher, aber umgekehrt ist Koscher immer auch Halal, mit der Ausnahme von alkoholischen Produkten”, erläuterte der Rabbiner. Er ist neben seinem Rabbinat für die IKG Wien auch als Landesrabbiner der Steiermark, Niederösterreichs, des Burgenlandes und Kärntens tätig und damit oberste Ansprechperson, wenn es um Koscher-Zertifizierungsprozesse in Österreich geht.
Nicht nur von Juden würden Produkte mit Koscher-Zertifizierung als “vertrauenswürdig”, “gesünder” und “rein” gesehen. Eigenschaften, die neben den Anhängern der Glaubensrichtung auch vegetarische, vegane oder gluten- und laktoseintolerante Personen ansprechen. So würden weit mehr als die Hälfte der koscheren
Produkte, rund 60 Prozent, aufgrund nicht-religiöser Werte, wie Gesundheit, Lebensmittelsicherheit und Regionalität gekauft und konsumiert.

Wachstumsmärkte: Österreich, Israel und die USA
Nur mit der Regionalität hapert es hierzulande noch etwas: Der österreichische Markt für koscher zertifizierte Produkte stehe erst in Entwicklung, hieß es in dem Webinar. Mittlerweile gibt es immerhin knapp drei Dutzend Produzenten von koscheren Produkten, sie erzeugen Softdrinks, Bier und Wein, Milchpulver, Süßwaren, auch Cerealien, Mehle, Snacks, Saucen und Öle. Aber jedenfalls viel zu wenig für die hiesige Gemeinde. Viele der Produkte müssen nach wie vor aus Großbritannien importiert werden. Nach dem endgütligen Brexit und damit einhergehend höheren Steuern und Abgaben hätten die drei rein koscheren Supermärkte in Wien ihre Preise seit Jänner um 20 bis 30 Prozent erhöhen müssen, berichtete Hofmeister.
Dabei wäre auch der Export von koscheren Nahrungsmitteln vor allem in die stark wachsenden Märkte Israel und USA interessant, meinten die beiden Fachleute der Wirtschaftskammer.
Die USA sind der weltweit größte koschere Markt. In den Vereinigten Staaten ernähren sich beispielsweise rund 1,5 Mio. Menschen streng koscher, zudem kaufen 13 Mio. US-Bürger regelmäßig koschere Lebensmittel aus den zuvor genannten Gründen ein. Verena Erhart: “Insgesamt kann man von einer Verbrauchergruppe von 25 Millionen Menschen sprechen, die auf eine Koscher-Zertifzierung wertlegen.”
Israel sei ebenfalls ein Markt mit enormen Potenzial, weil vermutlich bis 2065 einer der am dichtest besiedelten Orte der Welt. Zweitgrößte Kategorie beim Import von Konsumgütern nach Israel sind Lebensmittel, allen voran Fleisch, Getränke und Süßigkeiten. „Österreichische Produkte sind auf dem israelischen Markt aber noch unterrepräsentiert” stellt Markus Haas, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Tel Aviv, fest. Und dieser Umstand liege hauptsächlich am fehlenden Koscher-Zertifikat für österreichische Produkte.
“Viele unserer Produzenten wissen nicht über den Zertifizierungsprozess Bescheid und haben auch Berührungsängste”, erklärte Haas. Großes Marktpotenzial hätten koschere Backwaren, Süßwaren und auch Milchprodukte, da koschere Ware in diesen Kategorien in Israel generell unterrepräsentiert seien.

KOSHER-Zertifizierungszeichen

Wie läuft eine Koscher-Zertifizierung ab?
Wie aber läuft eine Koscher-Zertifizierung ab? Rabbiner Hofmeister: „Koscher ist eine Reinheitsvorschrift in der Tora, dem jüdischen Recht, die sich auf Lebensmittel bezieht.” Pflanzliche Produkte sind prinzipiell immer koscher. “Bei tierischen Produkten kommt es darauf an.” Da werde zwischen Produkten vom Tier und jenen, die von Tieren produziert werden, unterschieden. “Fleisch muss etwa von einer koscheren Tierart abstammen und koscher geschlachtet werden.” Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen müssen von speziell ausgebildeten Rabbinern geschächtet, gewässert und gesalzen werden. Schweine gelten als unrein und sind daher nicht koscher.
Fische mit Schuppen wiederum gelten allgemein als koscher und müssen daher nicht geschächtet werden. “Milchprodukte müssen in weiterer Verarbeitung ebenfalls beaufsichtigt werden.” Konkret heißt das, dass ein oder mehrere eigens dafür ausgebildete Aufseher, die “Maschgiachen”, vor Ort in der Molkerei die Einhaltung der jüdischen Speisegesetze kontrollieren und dazu von dem Rabbiner beauftragt werden. Die Molkerei Wagner in Biberschlag produziert so etwa koschere “Waldviertler Bauernmilch”.

Produktion ist wichtiger Faktor
Je maschineller der Prozess der Herstellung sei, desto einfacher ist es, ein Produkt zu zertifizieren, so Hofmeister. “Vor allem, wenn die Produktion immer gleich bleibt, genügt es, dass der Maschgiach zumindest einmal im Jahr oder nur zu sporadischen Kontrollen vorbeikommt.” Besonders einfach ist das mit Produktionen, wie etwa Mineralwasser oder Kürbiskernöl. Deren Press- und Abfüllmaschinen können nicht für nicht koschere Produkte verwendet werden. “Daher bestehen vonseiten der Glauebensgemeinschaft keine Befürchtungen.”
Handelt es sich hingegen um Produktionsstätten, in denen auch nicht koschere Produkte hergestellt werden, wie etwa ein Frostgemüsehersteller in Niederösterreich, werden die Kontrollen verschärft.
Ein pflanzliches Produkt mit großer Nachfrage, dessen Zertifizierungsprozess “etwas komplizierter” ist, ist Wein. Hofmeister: “Wein ist nur dann koscher, wenn der Verarbeitungsprozess von Anfang bis Ende von einem Rabbiner überwacht wird.” Das Bio-Weingut Hafner aus Mönchhof im Burgenland beispielsweise hat seinen Betrieb aus diesem Grund vollkommen auf koscher umgestellt.

Export und Kostendeckung
Generell wird die österreichische Koscher-Zertifizierung in ganz Europa und Isreal problemlos anerkannt. In den USA kann es sein, dass der Importeur ein zusätzliches amerikanisches Zertifikat verlangt, aber auch diese Stellen vertrauen auf das Urteil der österreichischen Zertifizierung.
„Die Kosten der Zertifizierung sind immer abhängig vom Aufwand, einschlägiger Faktor für den Preis ist, ob das Produkt am lokalen österreichischen Markt angeboten wird und damit der Gemeinde in Österreich dient, da wird auf die Gebühr sogar verzichtet. Vor allem bei sporadischer Beaufsichtigung.” so Hofmeister, der in Sachen Zertifizierung für ganz Österreich zuständig ist.
Einen Kosher-Guide über in Österreich erhältliche und teils auch hier erzeugte Produkte zum Gratis-Downloaden gibt es unter
www.misrachi.at
wko.at/aussenwirtschaft/il
www.ikg-wien.at/rabbinat

Zoe Hackenberg

- Werbung -
AUTORonline: SN
Vorheriger ArtikelKöstinger hat recht
Nächster ArtikelExpansion trotz Covid-19 Krise: 60 Würth Shops in Österreich