Künftig müssen Ertragsziele mehr in den Vordergrund rücken, ohne dabei die Grundwerte des Biolandbaus zu vernachlässigen, sagt Knut Schmidtke im Interview mit Agra-Europe. Nachfolgend die prägnantesten Fragen und Antworten.

Was bedeutet der Ukraine-Krieg für die Arbeit des FiBl?
Schmidtke: Dieses Desaster berührt uns alle sehr tief. Daneben sind wir auch fachlich betroffen. Wir haben seit 2004 in der Ukraine eine Reihe sehr erfolgreicher Projekte durchgeführt. Die sind vorerst auf Eis gelegt.

Welchen Stellenwert hat Bio in der Ukraine?
Der Sektor ist seit Jahren auf Wachstumskurs. Vor dem Krieg wurden schätzungsweise 462.000 Hektar ökologisch bewirtschaftet. Vor allem größere Betriebe haben umgestellt und erfolgreich gewirtschaftet, auch viel Futtergetreide nach Westeuropa exportiert.

Was bedeutet ein Ausfall der Bioexporte bei uns?
Dass etwa Bio-Futtergetreide und Futtermittel aus Sonnenblumen für Schweine und Hühner knapp und teuer werden. Wie ernst die Lage insbesondere bei Bioeiern wird, ist derzeit noch offen.

Der Krieg samt seinen wirtschaftlichen Auswirkungen hat eine agrarpolitische Grundsatzdiskussion darüber ausgelöst, ob das Produktionsziel der Landwirtschaft im Vergleich zu Klima- und Umweltzielen wieder stärker gewichtet werden sollte. Ist diese Diskussion berechtigt?
Ja! Primäre Aufgabe der Landwirtschaft muss es nach wie vor sein, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln möglichst aus heimischer Erzeugung sicherzustellen. Das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.

Was folgt daraus für den Biolandbau?
Eine unserer Strategien lautet „Öko-Intensivierung“. Ich halte es für nicht verantwortbar, einen unzureichend gemanagten Biolandbau zu betreiben und sich dauerhaft mit Ertragsleistungen von unter drei Tonnen je Hektar auf guten Standorten bei Getreide zufriedenzugeben, weil die Prämien das hergeben. Das reicht nicht.

Intensiv oder extensiv?
Es geht nicht um ein Entweder-oder. Wir müssen im Biolandbau höhere Erträge erreichen und gleichzeitig die Vorteile für die Biodiversität, den Grundwasserschutz und die Böden gewährleisten. Umgekehrt stehen die konventionellen Betriebe vor der Aufgabe, ihre höheren Erträge besser mit den Umweltzielen in Einklang zu bringen. Der Handlungsdruck ist nun noch größer geworden. Eine Möglichkeit ist der Anbau von Gemengekulturen. Wir müssen auch stärker in Zweitfruchtkulturen denken. Dabei geht es nicht auch darum, tatsächlich Ertragsleistungen in einer zweiten Frucht zu realisieren. Durch die Änderung des Klimas kann man an manchen Standorten nach Wintergerste eine zweite Kultur anbauen, etwa Buchweizen. Auch einige Körnerleguminosen kommen noch zur Reife. Diese Potenziale müssen wir strategisch nutzen, um genügend Lebensmittel bereitzustellen.

Ist eine Annäherung an Ertragsniveaus des konventionellen Landbaus vorstellbar?
Weizenerträge von neun Tonnen je Hektar sind im Ökolandbau nicht erreichbar, weil dann die Gemeinwohlziele nicht mehr zu schaffen sind. Aber dass wir im Biolandbau zu Anbausystemen kommen, die bei Weizenerträgen zwischen fünf und sechs Tonnen liegen und dabei ausreichend Raum für Biodiversität bieten und geringe Nährstoffverluste aufweisen, ist realistisch und teilweise schon erreicht.

Trotzdem bleibt die Lücke – und der Biolandbau letztlich eine Nische?
Nicht unbedingt. Voraussetzung ist aber, dass wir runter kommen von dem gegenwärtig hohen Niveau der Erzeugung und des Konsums tierischer Produkte. Wir müssen künftig 30 bis 40 Prozent weniger Tiere halten, um mehr pflanzliche Lebensmittel direkt für die menschliche Ernährung erzeugen zu können.

Können wir uns überhaupt 30 Prozent Biolandbau bis 2030 erlauben?
Ja. Ich halte es für richtig, ein solch ambitioniertes Ziel zu setzen. Aber wir müssen die Verluste reduzieren. Bei Kartoffeln und Karotten bleibt zum Teil die Hälfte am Acker liegen.

Ihr Vorgänger, Urs Niggli, spricht von der „ Bioblase“. Es würden Erwartungen geweckt, die Ernährung könne allein mit biologischer Erzeugung gesichert werden. Arbeiten Sie in der Blase?
Nein, die Blase ist längst weg. Alle, die sich aktiv mit den Themen beschäftigen, wissen, dass man den Biolandbau weiterentwickeln kann und muss. Ein Beispiel: Wir haben Riesenprobleme mit Nitrat. Aufgabe muss es daher sein, die Agrarökosysteme ähnlich wie die natürlichen Ökosysteme so zu steuern, dass der Abbau von Stickstoff nicht bis zum Nitrat geht, sondern beim Ammonium stehen bleibt. Ammonium kann durch Tonminerale im Boden gebunden werden und ist für die Pflanzen nutzbar und ökologisch viel effizienter als das Nitrat. Es gibt erfolgversprechende Ansätze, wie wir das im Biolandbau hinbekommen können. Oder nehmen wir die Agro-Photovoltaik, also die Doppelnutzung von Flächen für die Lebensmittel- und Energieerzeugung. Das ist ein Weg, um zu einem echten regenerativen Landbau zu kommen.

Gilt das auch für die neuen Züchtungstechniken?
Wir werden am FiBL einen Think Tank zum Thema Anwendung der Genschere einrichten. Es führt kein Weg daran vorbei, uns intensiv mit dieser Technologie auseinanderzusetzen. Wenn wir neue Züchtungstechniken im Biolandbau weiterhin nicht anwenden, muss dies gegenüber der Gesellschaft gut begründet werden.

Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Als die des Wissenschaftlers und Moderators. Wenn ich am Ende davon überzeugt wäre, dass die neuen Züchtungstechniken akzeptabel oder nicht akzeptabel für den Ökolandbau wären, dann würde ich es auch so sagen.

Knut Schmidtke
FOTO: Privat

Wo ist der Forschungsbedarf im Biolandbau am größten?
Ein wichtiger Bereich – nicht nur bei uns in der Schweiz – ist das Grünland. Uns ist bislang nichts herausragendes anderes eingefallen, als Grünland über Rinder zu verwerten und zur Erzeugung von Milch und Fleisch zu nutzen. Die Möglichkeiten, aus dem Grünland auch Nicht-Wiederkäuer zu ernähren, sind hingegen bei Weitem nicht ausgeschöpft, etwa mit einer gezielten Einzelpflanzenernte oder indem man Weißklee als Proteinlieferant gezielt im Grünland fördert und selektiv erntet, um ihn an Schweine oder Hühner zu verfüttern. Auch sollte es darum gehen, einen Teil unseres Energiebedarfs regenerativ über Grünlandflächen über Agri-Photovoltaik zu gewinnen. Die Agrarforschung muss sich um den regenerativen Landbau im umfassenden Sinne kümmern, also nicht nur um Bodenregeneration, sondern auch um die energetische Regeneration. So ist ist aus meiner Sicht nicht vorstellbar, in 30 Jahren noch klassische Dieselschlepper im größeren Stil laufen zu lassen. Wir haben in der Landwirtschaft die Flächen, auf denen wir auch Solarenergie gewinnen können. Das müssen wir in der Forschung stärker angehen.

Es heißt immer wieder, die Tierbestände müssen sinken. Braucht der Biolandbau mehr Tiere?
In Teilen Deutschlands ist das sicherlich so. Aus dem Ackerbau wissen wir, dass wir Luzerne oder Kleegras als wichtige Bestandteile brauchen. Dafür brauchen wir in den Betrieben eine sinnvolle Verwertung. Das kann eine Biogasanlage sein, aber auch die Verwertung über Rinder. Mehr Rinder in Deutschland insgesamt sind aus Klimagründen keinesfalls akzeptabel. Jedoch kann es sinnvoll sein, mehr Rinder im Biobereich zu halten. Voraussetzung wären allerdings Betriebe, die Milch produzieren und Rinder unter den hohen Tierwohlstandards im Biolandbau halten wollen. Für all das brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens über Art und Umfang der Tierhaltung. Andernfalls laufen wir Gefahr, die Tierhaltung insgesamt zu verlieren.

Wie wird sich die Agrarbranche mittel- bis langfristig verändern?
Es gibt einen Impuls, mehr Lebensmittel im Land selbst zu erzeugen. Wir werden noch stärker gefordert sein, in Kreisläufen Landwirtschaft zu betreiben, mit weniger Zuführung von Düngemitteln, Saatgut und energetischen Rohstoffen von außen. Wir werden regionale Wertschöpfungsketten stärken müssen. Sehr viel rasanter, als wir es gedacht haben, werden wir uns mit der Erzeugung von regenerativen Energien in der Landwirtschaft auseinandersetzen müssen. Da wird es vor allem um Photovoltaik auf den Dächern gehen und um Agri-Photovoltaik auf den landwirtschaftlichen Flächen, die wir in eine Doppelnutzung mit landwirtschaftlicher Erzeugung integrieren. Daraus werden sich neue Tätigkeitsfelder und Wertschöpfungsketten ergeben.

| Zur Person: Dr. Knut Schmidtke ist seit dem vergangenen Jahr Direktor für Forschung, Extension und Innovation des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, Schweiz. Zuvor war er Professor für biologischen Landbau an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden. |

- Bildquellen -

  • Schmidtke: Foto: zoomingfoto1712 - stock.adobe.com
- Werbung -
AUTORRed. SN
Vorheriger ArtikelPhotovoltaik-Leitfaden gratis für Landwirte
Nächster ArtikelFür Bauern von morgen braucht es Perspektiven