Extreme Blutungen aus der Nase und im Darm ließen auf einigen Betrieben erkrankte Tiere binnen kurzer Zeit verenden.

Seit 2006 ist die Blauzungenkrankheit (BTV) in Europa präsent. In Österreich trat das ausschließlich über Gnitzen übertragene Virus erstmals 2008 auf. Damals war es hierzulande der Serotyp 8. Mittlerweile sind weltweit 26 Serotypen bekannt. Bei der aktuellen Seuchenwelle sind hierzulande zwei Virusstämme präsent: Serotyp 3 und 4. Während Letzterer Experten zufolge mild verläuft und mehr oder minder „nur ein Handelshemmnis für den Export“ darstellt, hat es BTV 3 in sich.

Ein Lied davon singen können Rinderhalter und Tierärzte in Deutschland. Einer von ihnen ist Nico Beckers-Schwarz. Der studierte Veterinär ist einer der Mitgründer und Geschäftsführer der Gemeinschaftspraxis „LandVET“ im Süden von Nordrhein-Westfalen. Dort praktiziert er mit 20 Berufskollegen und betreut vor allem Milchbauern in einem breiten Einzugsgebiet. Am eigenen Betrieb hält Beckers-Schwarz stattliche 220 Milchkühe. Nachdem im Oktober 2023 der erste deutsche Blauzungenfall am Niederrhein gemeldet wurde, brach aus den Niederlanden im Sommer 2024 eine Welle an Serotyp-3-Infektionen über den Westen Deutschlands herein.

Während im Juni nur 13 positive Fälle beobachtet wurden, waren es im Juli schon 1.251. Im August erreichte das Infektionsgeschehen mit beinahe 6.000 registrierten Ausbrüchen seinen Höchstwert. Seither wurde die Kurve zwar flacher, Fälle gab es aber auch im Winter. „Wir sehen in der Praxis immer noch Erkrankungen, vor allem in Warmställen“, berichtet der Tierarzt. Gnitzen brauchen demnach gerade einmal 4 °C, um aktiv zu sein. Am schnellsten (nämlich binnen 24 Stunden) erfolge der Krankheitsausbruch bei 30 °C und mehr.

Akute Symptome

Quelle: LandVET
Massive Läsionen am Flotzmaul

Auch im Einzugsgebiet von LandVET waren im Frühsommer binnen kurzer Zeit zahlreiche Höfe betroffen. Kein Wunder, legen Gnitzen doch mit dem Wind bis zu 150 Kilometer zurück. Akut erkrankte Tiere zeigten massive Rötungen und Entzündungen im Bereich des Flotzmauls und der Augen. Auch im Inneren des Mauls hatten sie schmerzhafte Veränderungen, wollten fressen und konnten es nicht. Kühe hatten über Tage 41 bis 42 °C Fieber, die Futteraufnahme brach ein.

Beckers-Schwarz: „Unsere Erfahrung war, dass erneute Infektionen schon nach wenigen Wochen möglich sind.“

Quelle: LandVET
Schmerzhafte Entzündungen im Maulbereich hindern die Tiere am Fressen.

Einige Kühe reagierten auf die Infektion auch mit starker Bläschenbildung an den Einstichstellen oder extremem Nasenbluten. Solche Fälle hatten auch Einblutungen im Darm, was am Kot deutlich zu erkennen war. „Diese Tiere sind zum Großteil verendet“, weiß Beckers-Schwarz. Erkrankte Kälber zeigten neben den Veränderungen im Maulbereich auch einseitig blaue Augen, die auch nach Abklingen des Virus zum Teil so blieben. „Die Tiere wurden blind.“ Auf BTV-positiven Höfen hatten selbst neugeborene Kälber Symptome. „Sie haben sich im Mutterleib angesteckt“, sagt der Tierarzt. Das Fatale war jedoch, dass selbst eine Infektion im Bestand nur für kurze Zeit Schutz bot: „Unsere Erfahrung war, dass erneute Infektionen schon nach wenigen Wochen möglich sind.“

Impfen um jeden Preis

Quelle: LandVET
Bläschenbildung an Einstichen

Nach Versuchen auf dem eigenen Betrieb entschlossen sich Beckers-Schwarz und sein Team schließlich, „in die Infektion hinein“ zu impfen. „Das war der richtige Weg“, ist der LandVET-Chef heute überzeugt. Zwar schütze die Impfung nicht vor der Ansteckung, mildere aber den Krankheitsverlauf und senke die Viruslast am Betrieb. Anders als bei BTV-8 vor einigen Jahren gab es deutschlandweit auch kaum Nebenwirkungen. Bei 5,3 Millionen verimpften Dosen wurden nur 51 Fälle von Nebenwirkungen registriert.

Beckers-Schwarz: „Wir haben deutlich weniger Angst gegen den Typ 3 zu impfen, als wir es damals beim Typ 8 hatten.“

„Wir haben deutlich weniger Angst gegen den Typ 3 zu impfen, als wir es damals beim Typ 8 hatten“, erklärt er. Bei LandVET wurden 2024 über 70.000 Dosen, überwiegend mit Mehrfachnadel, verimpft. „Heuer sind wir schon jetzt deutlich darüber“, zeigt sich Beckers- Schwarz über die Kooperationsbereitschaft seiner Bauern erfreut. Das habe auch wirtschaftliche Gründe, ist der Deutsche überzeugt und kann dies auch mit Zahlen belegen. Demnach erreichten Betriebe, die nicht impften, nicht mehr dieselbe Tagesmilchmenge.

Ein Betrieb mit detaillierten Aufzeichnungen des Melkroboters verlor bei 140 Laktierenden im Schnitt fünf Kilogramm Milch pro Kuh und Tag. Sein Nachbar entschloss sich zur Impfung. Er konnte – trotz massiver Symptome – die Milchleistung seiner 300 Kühe bei 39 Kilogramm Tagesgemelk halten. Laut Beckers-Schwarz habe sich die Impfung nicht nur bei Milchvieh durchgesetzt. „Mutterkuhbetriebe impfen derzeit strikt durch. Auch bei Mästern rechnet sich der Schritt.“ So müsse ein Maststier lediglich zwei Kilogramm Schlachtgewicht mehr erreichen, um die Impfkosten zu decken. Derzeit sind die Land- VET-Ärzte immer noch mit Erst- und Zweitimpfungen ausgelastet.

Spätfolgen wirken nach

Quelle: LandVET
Hartnäckige Klauenveränderungen

Indes beschäftigen die Spätfolgen der BTV-Welle die Bauern bis heute. Bei erkrankten Herden stieg die Zellzahl binnen kurzer Zeit auf über 400.000 und blieb über Monate (ohne jegliche Entzündungserscheinungen wie Flocken) erhöht. Klauenpfleger beklagen bis heute vermehrt Klaueneinblutungen. Auch Schwellungen, Defekte der weißen Linie, Geschwüre und Mortellaro hätten massiv zugenommen und seien deutlich schwerer zu behandeln. Trächtige, mit BTV infizierte Tiere verwarfen im Herbst „in allen Stadien“. Auch vertrocknete Föten, genannt „Steinkälber“, wurden laut LandVET vermehrt beobachtet.

Quelle: LandVET
Kümmernde Handtaschenkälber

Jene Kälber, die lebend geboren wurden, seien lebensschwach, blind oder missgebildet. Auch „Sternengucker“ und extrem kleine Tiere, sogenannte „Handtaschenkälber“, gab und gibt es vermehrt. Allesamt hätten sie kaum Überlebenschancen. Viele Kühe hatten bei der Abkalbung keine oder zu wenig Kolostrum und kamen in der Laktation „nicht in Schwung“, heißt es außerdem. Beim Jungvieh klagen die Bauern über geringe Fruchtbarkeit und Aborte. „Viele haben aus dem Bauch heraus entschieden, ob sie einfach schlachten“, erinnert sich Beckers-Schwarz.

Wie können Bauern vorbeugen?

In Deutschland erwartet der Veterinär im heurigen Sommer eine weitere Blauzungenwelle. „Mit steigenden Temperaturen werden die Infektionen zunehmen.“ Seinen Kunden rät er – neben der Auffrischungsimpfung – vor allem beim Weidegang zur Vorsicht. Nachtweide und Weide an Gewässern sollte man wegen der Aktivität der Gnitzen tunlichst vermeiden. Zusätzliche Repellentbehandlungen erachtet er als sinnvoll. Aber auch im Stall gibt es Möglichkeiten. So sollte in der Nacht kein Licht brennen und Lüfter stets laufen. Das Immunsystem der Tiere könne man laut Beckers-Schwarz durch um zehn Prozent erhöhte Salzgaben sowie Optimierungen beim Mineralfutter stärken.

- Bildquellen -

  • Flotzmaul in Abheilung: LandVET
  • Läsionen Maul Fleckvieh: LandVET
  • Quaddeln: LandVET
  • Klaue: LandVET
  • Handtaschenkalb: LandVET
  • Nasenbluten: LandVET
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AUTORClemens Wieltsch
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